Der Medalmaker Kovalenko

Buchbesprechung „The Medal Maker“

Buchbesprechung „The Medal Maker“

– eine Biografie von Victor Kovalenko

16. Juni 2017

So denkt und arbeitet der beste Segelcoach der Welt

Der Meistertrainer aus der Ukraine präsentiert den Einblick auf der Kieler Woche

Er ist der erfolgreichste Segeltrainer aller Zeiten. Zehn olympische Medaillen haben Aktive unter der Obhut von Victor Kovalenko gewonnen, sechs davon in Gold. Und der 66-Jährige hat noch eine Rechnung offen. Die Spiele in Tokio 2020 stehen fest im Visier. Der geborene Ukrainer will die australischen 470er-Ausnahmeathleten Mathew Belcher und Will Ryan noch einmal ganz nach oben führen. Seine Erfolgsgeheimnisse behielt der Meistermacher lange Zeit für sich. Erstmals gewährte er dem renommierten Autor Roger Vaughan einen tiefen Einblick in den Mensch und Menschenkenner Victor Kovalenko und dessen Methodik. Die Biografie „The Medal Maker“ in leicht verständlichem Englisch feiert auf der Kieler Woche mit zwei Signierstunden des Medaillenschmieds ihre Deutschlandpremiere.

Die Wurzeln des lang aufgeschossenen Leistungssportlers lagen hinter dem Eisernen Vorhang der Sowjetunion. In der Nachkriegszeit der 50er-Jahre wuchs er in Dnepropetrovsk in seinem Heimatland, der Ukraine, unter kargen Verhältnissen auf. Schon als Kleinkind stand Victor auf hölzernen Skiern; zum Segeln kam er mit zwölf. Im politisch motivierten Sportfördersystem der UdSSR schaffte Kovalenko es in den Kader, zunächst im Flying Dutchman und Drachen. Seine große Liebe, den 470er, entdeckte der Vorschoter erst im Alter von 24 Jahren.

Zielstrebig, willensstark und diszipliniert schien der Weg trotz krasser Reisebeschränkungen damals geebnet für eine eigene internationale Karriere. Doch der Olympiaboykott des Ostblocks 1984 und eine schlimme Verletzung drehten das Schicksal. Bei einem Bootsschlepp verlor Victor Kovalenko einen Finger beinahe komplett. Die Ärzte hatten ihn schon aufgegeben, nicht jedoch das Kämpferherz. Dass der zähe Kerl ihn später sogar wieder bewegen und einsetzen konnte, grenzte medizinisch an ein Wunder, war jedoch ein Sinnbild für die Durchsetzungskraft des Mannes, der durch den Unfall früh in die Rolle eines Coaches gezwungen wurde.

Auch der Weg war zunächst steinig. Die Verbandsfunktionäre trauten der geringen Erfahrung nicht. Eher als Versuch bekam der Coach das Frauenteam Larisa Moskalenko und Iryna Chunikhovskaya in Betreuung. Tausende Wenden und Halsen, Spinnaker setzen und bergen bis zur halben Bewusstlosigkeit waren einerseits Drill. „Aber dadurch fühlst du die Balance im Boot und den Segeltrimm irgendwann intuitiv“, erklärt Kovalenko, für den Fitness und Ausdauer eine große Rolle spielen. Während manche Konkurrenz nach einer Kenterung aufgab, hatte sein Team das Boot in Sekundenschnelle wieder aufgerichtet. Und gewann 1988 in Pusan/Südkorea bei rauen Bedingungen unerwartet die Bronzemedaille.

Weil die Athleten in den langen, kalten Wintern nicht auf ausländische Reviere ausweichen durften, erfand der Trainer das Landboot. Ein 470er wurde in der Halle aufgebaut und so fixiert, dass die Manöver im Trockenen abliefen. Wieder und wieder. Kovalenko verlangt immer 100%ige Hingabe, entschuldigt keine Verspätungen und ist besessen auf Erfolg geeicht. Hartnäckig überzeugte er den widerspenstigen Politkader, Zugang zu Material aus dem Westen zu bekommen. Und Reisefreiheiten. In einem Fiat Panda mit 34 PS und 470er auf dem Dach ging es zu dritt über 2.100 Kilometer nach Barcelona. Nachdem die Sowjetunion 1991 kollabierte, genossen die ukrainischen Talente die Visionen und Programme ihres Landsmanns. 470er-Gold der Männer und Bronze der Frauen 1996 in Savannah/USA waren die sensationelle Ernte.

Doch Victor Kovalenko rieb sich zunehmend an den pro-russischen Einstellungen und Hindernissen des Sportsystems. Keine zwei Stunden nach dem Finalrennen wurde per Handschlag der Wechsel nach Australien besiegelt. Zehn Tage später begann die Vorbereitung auf die Heimspiele in Sydney 2000. In einem kleinen Ringbuch der Erfolgskonzepte steht auch die Magische Box der Olympiade, die Schwerpunkte des Vierjahreszeitraums von Fitness und Regelkunde zu Anfang bis zur Psychologie und Gegneranalyse vor dem Zielwettkampf. Ergebnis: Doppel-Gold im 470er – The Medal Maker war geboren.

Es folgten zahlreiche weitere mit dem Höhepunkt 2012 in Weymouth/London, als Australien überraschend beste Segelnation vor den erfolgsverwöhnten Gastgebern wurde. Kovalenkos Ausnahmeschützling ist seitdem der mit der Hamburgerin Friederike Ziegelmayer verheiratete Mathew Belcher. Nie war ein 470er-Steuermann dominanter. Wie der Seriensieger vier Jahre später dennoch um die Titelverteidigung betrogen wurde und in Rio mit Will Ryan „nur Silber“ gewann, wird minutiös bewiesen. Aber das nährt die Motivation für Tokio 2020. Dann 70-jährig will Victor Kovalenko noch einen Olympiasieg feiern.

Roger Vaughan, der auch Bob Dylan, die Beetles und Herbert von Karajan einfühlsam porträtierte, gelang eine präzise Mischung aus Erzählungen und Beschreibungen der Geschichte von Victor Kovalenko. Der eigene Charakter des Medaillenmachers und dessen Menschenkenntnis werden deutlich, mit der aus jungen, ihm anvertrauten Sportlern durch individuelle Förderung erfolgreiche Stars erwachsen. Einblicke in die praktische Trickkiste steigern den Mehrwert der überaus lesenswerten Biografie „The Medal Maker“ (auf Englisch).

Das Buch ist im Schweizer Altamira-Verlag (altamiracreation.com/books) erschienen und kostet 35 Euro (ISBN 978-3-9522174-2-9). Auf der Kieler Woche 2017 ist es im Hafenvorfeld von Schilksee am Wohnmobil der Segler-Zeitung zu erhalten, wo Victor Kovalenko am Sonntag, dem 18. Juni, um 16 Uhr und Donnerstag, dem 22. Juni, um 18 Uhr Signierstunden gibt.

Weitere Informationen und Kontakt:

Andreas Kling

Yachting Journalist & PR Consultant